Cuckoo

Der Trailer dieses Horrorfilms sah nach nichts Besonderem> aus, machte aber dennoch neugierig, weil er in den bayrischen Alpen spielen sollte. Die Landschaft sah tatsächlich danach aus, Ausstattung und Gebäude wirkten jedoch seltsam aus der Zeit gefallen, und die Schauspieler waren Amerikaner oder Briten. Als wir auf einer Tradeshow ein Promo sahen, das immerhin eine starke Szene beinhaltete, war ich bereit, dem> Werk wenigstens eine Chance zu geben. Allerdings nicht im Kino.

Leider waren sowohl die Kritiker als auch die Zuschauer der Meinung, dass sich das nicht lohnt, weshalb ich lange gezögert habe, ihn bei Prime Video aufzurufen, aber irgendwann, als ich mal wieder Lust auf etwas Gruseliges hatte, dachte ich mir: So schlimm wird er schon nicht sein.

Cuckoo

Nach dem> Tod ihrer Mutter zieht Gretchen (Hunter Schafer) zu ihrem> Vater Luis (Marton Cs?ka?s) und seiner Frau Beth (Jessica Henwick), bei denen sie sich aber nicht willkommen fühlt. Auch ihrer stummen Halbschwester Alma (Mila Lieu) fühlt sie sich nicht geschwisterlich verbunden. Die Familie zieht von England in die bayrischen Alpen, wo Luis und Beth ihre Flitterwochen verbracht haben, um dort ein neues Hotel-Resort für Herrn König (Dan Stevens) zu errichten. Gretchen plant, so viel Geld zu sparen, dass sie wieder in die USA zurückkehren kann, und nimmt daher einen Job im Hotel an. Doch dort geht es nicht mit rechten Dingen zu.

Tilman Singer, der deutsche Regisseur und Drehbuchautor von Cuckoo, hat vor einigen Jahren einen weiteren Horrorfilm namens Luz inszeniert, von dem> ich zwar noch nie gehört habe, der aber ein paar Preise gewonnen hat. Sonst wäre diese deutsch-amerikanische Produktion wohl nie zustanden gekommen, an der auch einige Filmförderungen beteiligt waren und die auf der Berlinale lief. Nun weiß man ja, dass kein Film zu obskur ist, um ihn nicht in einer Sektion des Festivals unterzubringen, aber manchmal wundert man sich schon, ist Cuckoo doch viel zu durchschnittlich.

Die Geschichte ist dennoch solide: Eine junge Heldin, die einen traumatischen Verlust erlitten hat, wird in eine frem>de und bedrohliche Umgebung verfrachtet, wo sie gegen unheimliche Wesen kämpfen, gleichzeitig aber auch lernen muss, neue Bindungen einzugehen. Alles schon vielfach gesehen und insofern sehr vorhersehbar. Das muss aber grundsätzlich nicht schlimm sein, wenn die Inszenierung packend ist.

Leider ist sie das nicht. Schon der Anfang ist unnötig verworren und sieht nicht einmal aus, als würde er in den USA spielen, sondern irgendwo im Ruhrgebiet. Tatsächlich wurde der Film in NRW gedreht, wo die Berge zwar ein bisschen weniger majestätisch sind, aber davon lebt das Medium schließlich, dass es dem> Zuschauer eine Realität vorgaukelt, die nicht existiert. Dazu braucht es aber etwas Fingerspitzengefühl und Kreativität, die man hier leider nicht vorfindet. Alles sieht ein wenig seltsam aus und wirkt aus der Zeit gefallen. Die heruntergekommenen Gebäude strahlen die Tristesse der DDR-Architektur der Siebziger aus, die Polizeiuniformen gehören definitiv nicht nach Bayern, und die Statisten bewegen sich wie an einem> Filmset, aber nicht wie in einem> Hotel oder Krankenhaus. Sogar das unheimliche Wesen scheint aus einem> fünfzig Jahre alten Horrorfilm zu stammen.

Ist das ein missglückter Retrolook oder einfach nur eine erschreckende Unterfinanzierung? Der Film wird nicht viel gekostet haben, und das sieht man ihm schmerzlich an. Aber auch das ist per se kein Grund, ihn rundheraus abzulehnen. Als Zuschauer kann man über diese Defizite hinwegsehen, wenn man von der Geschichte oder den Darstellern gefesselt ist. Leider ist dies nicht so.

Obwohl die Story einige brauchbare, sogar gute Ansätze besitzt, gelingt es Singer nicht, diese richtig einzusetzen. Er schafft es weder, eine unheimliche oder bedrohliche Atmosphäre zu kreieren, noch, beim Zuschauer Neugier zu wecken. Oder sie auch nur ein klitzekleines bisschen zu gruseln. Dabei gibt es ein Rätsel, das die Heldin lösen muss, zu dem> sie jedoch so wenige Hinweise erhält, dass sie bis zum Ende im Dunkeln tappt. Mit einem> ehem>aligen Polizisten namens Henry (Jan Bluthardt) bekommt sie immerhin noch einen tatkräftigen Mitstreiter, der ein wenig Hintergrundwissen besteuert und am Ende für Action sorgt. Auch gibt es unheimliche Geräusche, ein seltsames Wesen, das Gretchen verfolgt (in der einzigen, gelungenen Szene des Films), und auch Almas rätselhafte Anfälle sind ein interessantes Elem>ent in der Story. Ein besserer Autor und Regisseur hätte durchaus was daraus machen können.

Auch die Schauspieler sind keine Offenbarung. Hunter Schafer agiert wie schon die meiste Zeit in Euphoria, als hätte sie in ihrem> ganzen Leben noch nie gelacht. Dan Stevens gibt sein Bestes, kann aber die missglückten Drehbucheinfälle und teilweise schlechten Dialoge nicht retten, und Jan Bluthardt beweist bei jedem> Auftritt, dass er ein gestandener Theaterdarsteller ist, aber kein Filmschauspieler.

Auch wenn die FBW Cuckoo das Prädikat ?besonders wertvoll? verliehen hat, kann man von dem> Film eigentlich nur abraten. Er ist langweilig, unoriginell und kein bisschen unheimlich, allenfalls die Fans der beiden Hauptdarsteller kommen hier auf ihre Kosten.

Note: 5+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.