The Life of Chuck

Vielleicht hat sich der eine oder andere Leser darüber gewundert, dass es vergangene Woche keine Blog-Beiträge gegeben hat. Der Grund dafür ist simpel: Wir waren auf den Filmtagen Köln und hatten ursprünglich geplant, darüber auch zu berichten. Da es jedoch für immer mehr Material ein striktes Embargo gibt, das es einem> verbietet, ein Wort darüber zu verlieren, sind wir schon vor Jahren dazu übergegangen, nur eine Liste mit den Titeln zu veröffentlichen, die präsentiert wurden. Allerdings gibt es diese inzwischen auch offiziell im Netz, so dass dies unnötig geworden ist.

Ich will hier deshalb nur ganz kurz meine Eindrücke allgem>ein zusammenfassen. Anders als in den Vorjahren waren die Filmtage diesmal ein klein wenig kürzer, und das hat man auch gem>erkt. Vor allem> der Dienstag war so vollgepackt, dass man bereits bis zur Mittagspause ziem>lich abgekämpft war, aber danach standen noch bis in den Abend hinein weitere Tradeshows auf dem> Programm, gefolgt von einem> überraschungsfilm, der erst nach Mitternacht endete.

Mittwoch und Donnerstag waren etwas entspannter, so dass noch Zeit für nette Gespräche blieb, und die Party im Maybach war wie immer der Zuckerguss auf der Torte. Wir haben sehr, sehr viele Trailer gesehen, auch einige spannende Promos und ein paar längere Ausschnitte, aber nicht so viele wie erhofft. Die großen überraschungen sind zwar weitgehend ausgeblieben, aber viele Filme kann man nun besser einschätzen, und ein paar Titel, die ich vorher nicht auf dem> Schirm hatte, zum Beispiel A Big Bold Beautiful Journey, Wuthering Heigts oder Frankensteins Braut haben allein aufgrund ihres visuellen Einfallsreichtums meine Neugier geweckt.

Leider lag ein Hauch von Wehmut über der gesamten Veranstaltung, da dies das letzte Mal war, dass sie in Köln stattfand. Im kommenden Jahr werden die Filmtage mit dem> Filmtheaterkongress zusammengelegt und in Hamburg stattfinden. Das wird bestimmt auch ganz toll, nur hatte Köln immer einen besonderen Charme, den ich garantiert vermissen werde.

Natürlich wurden auch wieder Filme in voller Länge gezeigt, und darunter waren diesmal so viele, die mich interessiert haben, dass die Wahl schwer fiel. Einer davon stand auf meiner Heiß-auf-Liste und war deshalb dabei, obwohl er bereits morgen startet. Die Rede ist natürlich von:

The Life of Chuck

Normalerweise würde an dieser Stelle eine kurze Inhaltsangabe folgen, die ungefähr das erste Drittel des Films wiedergibt, aber damit wäre niem>andem> gedient, denn es handelt vom Weltuntergang und einem> geschiedenen Paar (Chiwetel Ejiofor und Karen Gillian), das seine letzten Augenblicke gem>einsam verbringen möchte. Aber darum geht es nicht im Film, zumindest nicht in den zwei Dritteln danach. Ich wusste im Vorfeld auch nur, dass die Story auf einer jüngeren Kurzgeschichte von Stephen King basiert und das Leben eines ganz normalen Mannes namens Chuck (Tom Hiddleston) nacherzählt, allerdings in umgekehrter oder willkürlicher Reihenfolge. Das ist grundsätzlich zwar richtig, teilweise aber auch irreführend.

Kurz und gut: Am besten, man weiß gar nichts über die Geschichte. The Life of Chuck unterläuft nämlich sämtliche Erwartungen, die man an ihn hat. Das beginnt schon mit der dystopischen Einleitung, deren Sinn man zwar nach einiger Zeit versteht, so dass die Auflösung nicht mehr überrascht, durch die man aber lange Zeit quasi auf dem> falschen Dampfer ist. Was allerdings typisch ist für einen Film, der permanent die an ihn gerichteten Erwartungen unterläuft. Die Absicht von Regisseur und Drehbuchautor Mike Flanagan war vermutlich, im ersten Drittel eine elegische Stimmung zu kreieren, die gut zur restlichen Geschichte passt, während er inhaltlich einen Bogen schlägt zu einem> Gespräch, das gegen Ende geführt wird, wodurch der Film eine schöne Klammer erhält. Die Tonalität erinnert bisweilen an die Serie Legion, und man sollte unbedingt auf die diversen Figuren und Details achten, die in den späteren Episoden wieder auftauchen werden. Daraus lässt sich durchaus eine gewisse Befriedigung ziehen.

Vielleicht sollte man wissen, dass ein gewisses Maß an Geduld gefragt ist, denn der Anfang ist recht langsam erzählt, wenn auch nicht uninteressant, und er hat mit Chuck nur am Rande zu tun. Vielleicht wäre es auch gut zu wissen, dass Chuck zwar die Hauptfigur, Tom Hiddleston aber nur in einer Handvoll Szenen zu sehen ist, darunter aber die mit Abstand schönste Szene des Films, die vielleicht sogar eine der schönsten Szenen der letzten Jahre ist. Ein Fan des Schauspielers, der nur seinetwegen ins Kino geht, sollte also nicht zu enttäuscht sein, wenn sein Star kaum zu sehen ist.

Warum ein Film, der The Life of Chuck heißt, nicht sein ganzes Leben, sondern nur seine Kindheit und teilweise Jugend nacherzählt, wird nicht ganz klar. Vielleicht, weil das Leben eines Buchhalters und Familienvaters nicht übermäßig spannend ist. Vielleicht auch, weil sich in den vier, fünf Jahren, auf die sich die Handlung konzentriert, so viele Todesfälle und Traumata ereignen, dass es für zwei Filme reichen würde. Und als Bonus gibt es noch einen verbotenen Raum mit einem> übernatürlichen Elem>ent ? das aber quasi keine Rolle spielt. Auch das kann man dem> Buch ankreiden, dass es an einer Stelle aufhört, an der die meisten Filme beginnen würden, aber es unterstreicht die Botschaft, die Flanagan damit vermitteln möchte und die man im Prinzip mit Carpe Diem> zusammenfassen könnte, und funktioniert daher dennoch.

Die Kindheitsgeschichte wiederum ist typisch für Stephen King, und man kann den Film durchaus ein wenig mit Stand By Me vergleichen, der eine vergleichbare nostalgische Stimmung hat. Die Story, die erzählt wird, ist bewegend und poetisch und handelt von einem> Jungen, der früh mit dem> Tod in Berührung kommt und die Freude am Leben wiederfinden muss. Musik und Tanz spielen eine große Rolle dabei, weshalb man The Life of Chuck mit einiger Berechtigung einen Tanzfilm nennen könnte, obwohl er das streng genommen gar nicht ist. Schon gar nicht, wenn man an das erste Drittel denkt.

Der Film ist voller Widersprüche, er entzieht sich jeder Beschreibung, jeder dramatischen Form und bleibt in mancherlei Hinsicht Stückwerk. Vielleicht werden nicht alle Zuschauer damit warm werden oder zufrieden sein, aber wenn man sich darauf einlässt, wird man mit ein paar absolut hinreißenden Szenen belohnt, die einem> ein Lächeln auf das Gesicht zaubern und deren Zauber sich nur im Kino entfalten kann.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.