First things first: Happy Birthday, Mark G.!
Von dem> Film hatte ich nur gehört, dass er ziem>lich gut sein soll, aber nicht, was ihn so besonders macht. Er ist alt ? aus dem> Jahr 1955 ? aber nicht so alt, dass er damit automatisch mein Interesse geweckt hätte. Mit Robert Mitchum hat er einen veritablen Star in der Hauptrolle, der jedoch nicht zu meinen Lieblingsschauspielern zählt. Und schwarz-weiß ist er auch noch.
Dass Citizen Kane einmal zum besten Film aller Zeiten gewählt wurde, weiß inzwischen jeder Kino-Enthusiast. Doch welche Filme stehen auf den Plätzen dahinter? Ich hatte irgendwann mal einen Blick auf die Liste geworfen, die Titel aber schon lange wieder vergessen, und inzwischen gibt es ohnehin neue Rankings. Jedenfalls, Die Nacht des Jägers befand sich auf Platz 2, obwohl der Film zum Start von der Kritik verrissen und von den Zuschauern ignoriert worden war. Ein lange vergessenes Meisterwerkt also?
Kurz und gut: Ich hatte immer Interesse, ihn zu sehen, habe es aber aufgeschoben. Nun war er wieder einmal auf Prime Video ? diese Filme tauchen dort regelmäßig auf, um nach relativ kurzer Zeit wieder zu verschwinden, man muss also nur abwarten, wenn er gerade nicht verfügbar sein sollte ? und ich dachte mir, ich sollte ihm eine Chance geben, zumal er mit 90 Minuten auch nicht so lang ist wie die meisten heutigen Filme.
Die Nacht des Jägers
Harry Powell (Robert Mitchum) behauptet, ein Mann Gottes zu sein, ein Wanderprediger, der durch die USA der Großen Depression zieht und den Menschen Ehrfurcht vor dem> Herrn eintrichtert. Um das Ringen zwischen Gut und Böse zu verdeutlichen, zeigt er ihnen gerne seine tätowierten Hände: Auf den Fingerrücken der Linken steht Hate, auf denen der Rechten Love. Harry macht sich auch gerne an Witwen heran, wickelt sie mit seinem> beträchtlichen Charme ein, um sie anschließend zu töten und auszurauben.
Als er in einem> gestohlenen Wagen erwischt und zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt wird, lernt er im Knast Ben Harper (Peter Graves) kennen, der zwei Männer getötet und zehntausend Dollar gestohlen hat, um damit seine Familie zu ernähren. Ben wird bald hingerichtet, und Harry macht sich nun an seine Witwe Willa (Shelly Winters) heran, um an das Geld zu kommen. Doch nur ihre beiden kleinen Kinder John (Billy Chapin) und Pearl (Sally Jane Bruce) wissen, wo es versteckt ist.
Die Geschichte basiert auf dem> Roman von Davis Grubb von 1953, der als sozialkritischer Autor des Southern Gothic gilt und mit seinem> Debüt Die Nacht des Jägers gleichzeitig auch seinen größten Erfolg verbuchen konnte. Die Inspiration für Harry Powell holte er sich bei einem> realen Mörder, der Anfang der Dreißigerjahre in seiner Heimatstadt hingerichtet worden war. Die Regie übernahm das Schauspielschwergewicht Charles Laughton, der sich hier stilistisch beweisen und zeigen wollte, was er in seiner langen Karriere über die Filmkunst gelernt hatte. Es war seine erste Regie ? und seine letzte, da die Ablehnung seines Werks ihn zutiefst dem>oralisiert haben soll.
Der Drehbuchautor James Agee hat Grubbs Roman in ein breites Gesellschaftspanorama der Großen Depression verwandelt und dabei seine eigenen Erfahrungen als bekannter Chronist dieser ära einfließen lassen. Das Resultat war allerdings so ausufernd, dass der Film sechs Stunden lang gewesen wäre. Netflix gab es zu der Zeit noch nicht, also bestand nicht die Möglichkeit, eine Miniserie daraus zu machen. Am Ende kürzte Laughton selbst das Buch zusammen, orientierte sich stärker an der Vorlage ? und verzichtete sogar auf einen Credit, vielleicht aus Pietät, weil Agee noch vor der Prem>iere verstorben war.
Was macht Die Nacht des Jägers nun so einzigartig? Da ist zunächst einmal der Antiheld, ein eiskalter Serienmörder und Psychopath und damit eine Figur, die zu dieser Zeit eher selten in Erscheinung trat, ausgenommen in Gangsterfilmen. Die eigentlichen Identifikationsfiguren sind die beiden Kinder, aber so junge Protagonisten waren auch nur selten im Film anzutreffen. Dann fällt er auch durch seine unkonventionelle Erzählweise aus dem> Rahmen. Viele ordnen ihn dem> Film Noir zu, was aufgrund seiner Them>atik und pessimistischen Gesellschaftskritik naheliegt, aber er enthält auch viele expressionistische Elem>ente, die an den Stummfilm erinnern, sowie märchenhafte und sogar surreale Einflüsse. Die Nacht des Jägers ist eine faszinierende Melange aus Alt und Neu, aus verschiedenen Stilen und Epochen, eine Hommage an die Vergangenheit und gleichzeitig ein Wegweiser in die Zukunft. In vielerlei Hinsicht wirkt er erstaunlich modern, nicht zuletzt aufgrund seiner ungewöhnlichen Bildsprache.
Laughton kreiert eine heitere, beinahe capraeske Atmosphäre, um sie dann in das nackte Grauen zu verwandeln. Im Mittelpunkt stehen dabei immer Kinder. Schon zu Beginn sieht man eine Gruppe von Kindern fröhlich spielen, bis sie unmittelbar auf eine Frauenleiche stoßen und diesen Akt der Grausamkeit nicht so recht zuordnen können. Mit John und Ruby gibt es zwei Kinder, denen alles genommen wird, zuerst der Vater, der vor ihren Augen brutal verhaftet wird, dann verfällt die Mutter dem> mordenden Prediger und einem> religiösen Wahn, der sie im zwanghaften Glauben, die Harmonie in der Familie unter allen Umständen aufrecht erhalten zu müssen, zu einer fanatischen Eiferin werden lässt, die ihre Kinder vernachlässigt und dem> Bösen überantwortet. Später sieht man hungrige, bettelnde Kinder, deren Familien zerstört wurden und die wie John und Ruby als Ausgestoßene umherziehen.
Die Welt im Film ist grausam und hart. Der Staat versagt in seiner Schutzfunktion, indem> er die Menschen ihrem> Schicksal überlässt und zu wenig gegen Rechtlosigkeit und Gewalt unternimmt. Die Religion wird pervertiert von Hasspredigern wie Harry, denen später im Film ausgerechnet eine Frau ihren positiv konnotierten Glauben entgegensetzt: Rachel Cooper (Lillian Gish) erscheint wie ein Engel in der Not und ist die Einzige, die couragiert genug ist, Harry das Handwerk zu legen.
Auch über die Nebenfiguren transportiert Laughton eine Menge Gesellschaftskritik. Das bigotte Ehepaar Spoon (Evelyn Varden und Don Beddoe), das eine Eisdiele betreibt, drängt Willa zuerst in die Hände des Predigers, weil sie der Meinung sind, dass eine Frau allein zu schwach ist, um ihr Leben zu meistern, später führen sie den Lynchmob an, der Harry töten will. Die Dynamik zwischen beiden ist bem>erkenswert und psychologisch genau beobachtet, sie beschreibt in kleinen Gesten und längeren Monologe, in denen es sogar um gewagte Them>en wie weibliche Sexualität geht, die Komplexität einer gesellschaftlichen Schicht, die zwischen konservativen Werten und hilfloser Ohnmacht angesichts der sozialen Misere ihrer Zeit schwankt und ihre eigene Sündhaftigkeit in selbstgerechten Zorn überführt. Auch andere Erwachsene wie Onkel Birdie (James Gleason) oder der Henker Bart (Paul Bryar), die in kleinen Nebenrollen auftauchen, runden das Bild einer Gesellschaft in moralischer Auflösung ab. In dieser Welt haben Kinder keine Chance, und was aus ihnen werden kann, wird am Beispiel von Ruby (Gloria Castillo) erzählt, einem> stillen, vernachlässigten Mädchen, das sich so sehr nach Liebe sehnt, dass es sich von jedem> Mann, der ein freundliches Wort übrig hat, verführen lässt.
Es ist beeindruckend, wie viel Laughton in nur neunzig Minuten packt, wie vielschichtig und überraschend der Film ist. Der Anfang ist ungewöhnlich, irritierend, dann entwickelt er sich zu einem> Psychothriller, nimmt eine überraschende Wende und irrlichtert in surrealen, expressionistischen und märchenhaften Gefilden, bevor er zum Ende hin Anleihen beim Stummfilm und szenenweise sogar beim Western nimmt. Man weiß nie, was einen als nächstes erwartet.
Die Darsteller sind durch die Bank superb. Robert Mitchum ist charmant und furchteinflößend und lässt in Abgründe blicken, die angeblich sogar ihn selbst erschreckt haben, weshalb er jahrelang nicht über diese Rolle reden wollte. Man hätte gerne mehr über ihn erfahren, doch auch in den wenigen, entlarvenden Momenten, etwa in der Hochzeitsnacht mit Willa oder in der Szene im Variet?, wird sein unbändiger Frauenhass deutlich. Ob seine aggressive Religiosität nur vorgeschoben ist oder Teil seiner Psychose wird nie eindeutig klar, fest steht jedoch, dass er einer der bem>erkenswertesten Schurken der Filmgeschichte ist.
Sollte man Die Nacht des Jägers gesehen haben? ? Unbedingt, vor allem> als Filmliebhaber. Für uns Heutige ist manches nicht ganz stimmig, die Geschichte verändert ihre Tonalität, sie wirkt nicht aus einem> Guss, die Psychologie mancher Figuren ist stellenweise widersprüchlich geraten, und das Tem>po ist bisweilen arg langsam, aber die positiven Eindrücke überwiegen bei weitem>. Der Film ist eine Wundertüte an Einfällen, und man hätte sich gewünscht, Charles Laughton hätte noch häufiger Regie führen können.
Note: 2-