Ich bin bei weitem> kein Fachmann für französische Filme und kenne vermutlich weder alle wichtigen zeitgenössischen noch historischen Produktionen, aber sogar mir ist aufgefallen, dass sich der französische Film stark verändert hat. Weniger große Stars und damit weniger Glamour, dafür mehr Realität und soziales Engagem>ent. Früher kam es mir so vor, als spielten französische Filme immer in der Pariser Bourgeoisie, in der jeder wohlhabend, gebildet und kulturell interessiert ist und in schicken, riesigen Appartem>ents lebt. Die Geschichten handelten dann meist von der Liebe und dem> bürgerlichen Leben, wobei nebenbei zeitgeschichtliche Strömungen verarbeitet wurden. Vielleicht eine sehr eingeschränkte, oberflächliche Sicht.
Immerhin waren diese Filme immer ein Augenschmaus. Doch seit den Neunzigern gibt es sie immer weniger und nun praktisch kaum noch oder allenfalls als nostalgische Reprisen wie Madem>oiselle Populaire. Als ich dann den Trailer zu Die schönste Zeit unseres Lebens (im Original La Belle ?poque) sah, kam es mir so vor, als würden die Macher sich auf diese Art von Geschichten besinnen und sie ins 21. Jahrhundert transportieren ? natürlich mit einer nostalgischen Note.

Die schönste Zeit unseres Lebens
Victor (Daniel Auteuil) war jahrzehntelang ein bekannter Karikaturist und Comicautor, doch seine Zeitung erscheint nur noch online und verzichtet auf seine Beiträge, seine Bücher verkaufen sich nicht mehr, und er hat den Anschluss an die moderne Welt verloren. Seine Frau Marianne (Fanny Ardant), eine Psychoanalytikerin, dagegen geht mit der Zeit, lässt viele ihrer Patienten von einer KI behandeln, schwört auf jene neue technische Errungenschaft und hat eine Affäre mit Victors bestem> Freund. Weil sie das ständige Genörgel, das Selbstmitleid und die lähmende Passivität ihres Mannes nicht mehr ertragen kann, wirft sie ihn eines Tages raus.
Antoine (Guillaume Cadet) ist der beste Freund von Victors Sohn, der ihm zum Geburtstag eine ?Zeitreise? geschenkt hat. Hier kann eine betuchte Klientel in die Vergangenheit eintauchen, die mittels aufwändiger Kulissen, Kostüme und engagierter Schauspieler zum Leben erweckt wird. Victor entscheidet sich, noch einmal jenen Sommer von 1974 Revue passieren zu lassen, in dem> er Marianne begegnet ist.
Die Geschichte beginnt mit einer Abendgesellschaft des Ancien Regime, die plötzlich von bewaffneten Eindringlingen gestört wird, die es auf den reichen ?Zeitreisenden? abgesehen haben. Die Szene entpuppt sich als Promo für eine neue Serie, an der Victors Sohn, ein Filmproduzent, gerade arbeitet. Inspiriert wurde er von Antoines Geschäft, weshalb er seinem> Vater auch dieses besondere Geschenk macht.
Als sich Victor zögerlich darauf einlässt, will Antoine, der in ihm beinahe einen zweiten Vater sieht, alles möglichst perfekt machen. Doch sein ohnehin ausgeprägter Perfektionismus treibt seine Angestellten in den Wahnsinn und sorgt immer wieder für Spannungen mit seiner Freundin Margot (Doria Tillier), die sich noch weiter verstärken, als sie die junge Marianne spielt ? und Victor Gefühle für sie entwickelt.
Im Kern ist die Geschichte eine Love Story und handelt von den Veränderungen, die eine Beziehung über die Jahre erfährt. Die Menschen verändern sich und damit auch ihr Verhältnis zueinander. Victor ist verbittert und zynisch geworden, er hasst Veränderungen, alle modernen Erfindungen wie Mobiltelefone und das Internet und wäre am liebsten in der Vergangenheit geblieben. Weshalb dieses Reenactment auch so gut zu ihm und seiner Situation passt.
Früher hätte man die Geschichte stärker als Komödie erzählt. Victor hätte in Erinnerungen geschwelgt, Margot in einem> anderen Kontext kennengelernt, und das Ganze wäre eine boulevardeske Komödie mit amourösen Irrungen und Wirrungen geworden. Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Die Grundidee mit den ?Zeitreisen? ist an und für sich gut und birgt viele Möglichkeiten, sie wirkt nur leider überhaupt nicht realistisch. Vor allem> der Aufwand, der dabei getrieben wird, übersteigt jede Vorstellung. Anstatt nur ein Caf? so auszustatten, dass es wie jenes Lokal aussieht, in dem> ein junger Victor eine lebensfrohe Marianne kennengelernt hat, baut Antoine gleich einen ganzen Straßenzug nach, inklusive einem> Hotel, in dem> Victor wohnt. Filmisch ist das ganz hübsch, man glaubt das Ganze nur keine Sekunde lang. Vor allem> wenn Antoine später erwähnt, dass das Caf?-Setting 35.000 Euro gekostet hätte ? inklusive einem> Dutzend Schauspieler, die mehrere Tage geprobt haben. Französische Filmproduktionen müssen extrem> preiswert sein.
über diese Schwächen könnte man natürlich hinwegsehen, man wird aber einerseits immer wieder mit der Nase darauf gestoßen (wenn Antoine die horrenden Preise für versehentlich zerstörte Requisiten nennt) und hat andererseits nicht viel, worüber man sonst nachdenken könnte. Denn mit Victors Reise in die Vergangenheit tritt die ohnehin sehr vorhersehbare Story auf der Stelle. Man weiß, dass er sich wandeln muss, dass er die Veränderungen, die mit den Menschen und dem> Leben einhergehen akzeptieren und sich mit seiner Frau, die er immer noch liebt, aussprechen muss. Doch dies wird immer aufgeschoben. Stattdessen taucht er immer tiefer in die Vergangenheit ein, muss dafür seine Ferienwohnung verkaufen, seinen Sohn anpumpen und für ihn sogar an einer Zeichentrickserie arbeiten, was er immer abgelehnt hatte. Aber er wird auch wieder lebendiger und lebensbejahender. Das ist schön geschrieben, schön umgesetzt, dauert aber viel zu lange und verläuft viel zu reibungslos.
Regisseur Nicolas Bedos, der auch das Drehbuch schrieb, drückt sich um die Konflikte in der Geschichte. Es geht nicht nur um Victor und Marianne, sondern auch um Antoine und Margot, aber diese Beziehung wird so oberflächlich geschildert, dass sie zu einer klamaukigen Nummernrevue verkommt. Vor allem> wiederholen sich ständig die gleichen Situationen, die immer von Antoines Eifersucht und Kontrollzwang und Margots Widerstand dagegen handeln.
Das größte Problem> des Drehbuchs sind jedoch die Figuren, die, um hier einmal einen psychologischen Fachbegriff zu bem>ühen, sich allesamt wie Arschlöcher verhalten. Victor jammert nur, was bisweilen ganz amüsant ist, ihn aber auch sympathisch macht, und Marianne ist nur erträglich, weil sie von der großartigen Fanny Ardant gespielt wird, aber als Figur auf dem> Papier ist sie schrecklich, und dass nicht nur, weil sie ein Verhältnis mit ihrem> Patienten hat, sondern auch in jeder Szene ihre Mitmenschen wie Dreck behandelt.
Immerhin ist der Look des Films schön anzuschauen, das Eintauchen in Victors Vergangenheit wird liebevoll in Szene gesetzt und doch immer wieder gebrochen, weil man einerseits einen Blick hinter die Kulissen bekommt und sieht, wie die ?Magie? (die eigentlich eine geschickte Manipulation ist) gem>acht wird, andererseits auch Victor immer wieder aus seiner Rolle fällt. Dieses gleichzeitige Schwelgen in Erinnerung und ihre Analyse ist im Ansatz gelungen, wird nur nicht auf den Punkt gebracht. Erst gegen Ende kommt es zu der lange überfälligen Aussprache zwischen Victor und Marianne, die mit Abstand die beste Szene des Films ist und in der die beiden Stars zeigen, was sie können. Nur hätte diese viel früher kommen müssen, so dass man darauf hätte aufbauen können. Stattdessen endet es einfach märchenhaft mit einem> aus dem> Hut gezauberten Happy End.
Insgesamt scheint Bedos nicht so recht zu wissen, was er eigentlich erzählen will. Der Film will eine Love Story sein, eine zärtliche Hommage an die Vergangenheit, eine gesellschaftskritische Satire und eine peppige Komödie. Aber Ende ist er von allem> ein bisschen, aber nichts so richtig.
Note: 4+