Der Richter ? Recht oder Ehre

Als der Film 2014 in unsere Kinos kam, ist er sang- und klanglos an mir vorbeigegangen. Ich kann mich nicht einmal erinnern, einen Trailer gesehen zu haben, was mich bei der hochkarätigen Besetzung wundern würde. Wahrscheinlich habe ich ihn einfach nur vergessen. Als die Produktion nun vor einiger Zeit bei Netflix auftauchte und auch einen ziem>lich guten imdB-Wert vorweisen konnte, habe ich sie mir gleich vorgem>erkt, denn ich habe schon lange kein gutes Gerichtsdrama mehr gesehen.

Der Richter ? Recht oder Ehre

Hank (Robert Downey Jr.) ist ein hochkarätiger Anwalt, der am liebsten schwerreiche Verbrecher verteidigt und dank seiner Cleverness nur selten verliert. über die Arbeit hat er jedoch seine Familie vernachlässigt, und seine Frau hat ihn zuerst betrogen und nun die Scheidung eingereicht. Auch um seine noch junge Tochter kümmert er sich zu wenig. Als seine Mutter überraschend stirbt, kehrt er in die Kleinstadt seiner Kindheit in Indiana zurück, in der sein Vater (Robert Duvall) als Richter eine Autorität ist. Das Verhältnis zwischen den beiden Männern ist seit Hanks Jugend zerrüttet, auch zu seinen beiden Brüdern Glen (Vincent D?Onofrio) und Dale (Jerem>y Strong) hat er kaum Kontakt. Hank will so schnell wie möglich nach der Beerdigung wieder verschwinden, daran ändert auch das Wiedersehen mit seiner Jugendliebe Sam (Vera Famiga) nichts. Doch dann wird der Richter wegen Mordes verhaftet, und Hank übernimmt seine Verteidigung.

Das Drehbuch, das von Regisseur David Dobkin zusammen mit Nick Schenk und Bill Dubuque verfasst wurde, weist einige ähnlichkeiten mit der Stephen-King-Verfilmung Dolores auf, die von einem> zerrütteten Mutter-Tochter-Verhältnis und einem> Mordprozess handelt. Es bedient einige bekannte Versatzstücke: Entfrem>dete Kinder, ein Protagonist, der aggressiv und arrogant ist und geradezu nach einer charakterlichen Läuterung schreit, eine Jugendliebe mit einem> Kind, das neun Monate nach dem> Verschwinden des Helden das Licht der Welt erblickte ? das alles hat man schon häufiger gesehen. Doch es wäre zu einfach, den Film als eine Ansammlung von Klischees abzutun.

Die Autoren geben sich eine Menge Mühe, die Figuren mit Leben zu erfüllen und ihnen Tiefe zu verleihen. Jede einzelne bekommt eine individuelle Geschichte und Raum, sich darzustellen, sie sind keine reinen Stichwortgeber für den Helden, sondern eigenständige Figuren, und dank des hochkarätig besetzten Ensem>bles ist es auch ein Vergnügen, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Positiv zu bewerten ist auch, dass es eine Fülle bem>erkenswerter Details gibt, die der Geschichte und ihren Figuren mehr Farbe verleihen, und dass diese meistens nur beiläufig gezeigt werden. In der heutigen Zeit, in der solche Subtilität kaum noch existiert, ist das beinahe meisterhaft.

Insgesamt wirkt der Film aber, noch dazu elf Jahre später, wie aus der Zeit gefallen. Solche Geschichten werden heute nicht mehr im Kino erzählt, bestenfalls noch in einer Streamingserie. Das verleiht Der Richter ? Recht oder Ehre einen gewissen nostalgischen Charme. Man muss jedoch auch sagen, dass die Autoren ein wenig zu viel wollen: Hank hat eine Menge Konflikte mit verschiedenen Menschen auszutragen, und selbst bei einer Laufzeit von gut über zwei Stunden bleiben dabei notgedrungen einige auf der Strecke. Sogar der große Streit zwischen Vater und Sohn kommt erst spät zum Tragen, er besitzt aber zum Ende hin immerhin eine em>otionale Note.

Als Gerichtsdrama funktioniert der Film gut, könnte aber spannender sein, denn der Fall ist von Anfang an mehr oder weniger klar: Der Richter hat einen Mann überfahren, den er wegen des Mordes an seiner Freundin für zwanzig Jahre hinter Gitter gebracht hatte und der erst wenige Tage zuvor entlassen worden war. War es ein Unfall oder Absicht? Hank muss bald feststellen, dass seine Annahmen falsch sind, dass die Geschichte weitaus komplizierter ist, als sie zunächst scheint, und am Ende sogar mit ihm selbst zu tun hat. Das alles wird sehr solide und einigermaßen spannend erzählt.

Alles in allem> ist Der Richter ? Recht oder Ehre ein ordentliches Gerichts- und ein em>otionales Familiendrama, inhaltlich ein wenig überfrachtet, aber immer interessant, manchmal witzig, manchmal traurig und toll gespielt. Kein Meisterwerk, aber besser als die meisten heutigen Dramen mit ihren dürftigen Storylines.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.