F 1

In jedem> Mann lebt bekanntlich ein kleiner Junge, der bei bestimmten Gelegenheiten wieder zum Vorschein kommt. Bei Actionfilmen zum Beispiel oder bei Autorennen, die ihn an seine Matchbox-Zeiten erinneren oder an Karussellfahrten auf der Kirmes. Beides habe ich als Kind ebenfalls geliebt, aber mit der Formel 1 bin ich dennoch nie warm geworden. Ich habe nie verstanden, was spannend daran sein soll, zuzusehen, wie Autos im Kreis fahren, und nicht nur einmal, sondern dutzende Male. Abgesehen davon ist das Ganze auch nicht gerade umweltverträglich.

Als der Trailer zu der Apple-Produktion herauskam, hielt sich meine Begeisterung dafür also deutlich in Grenzen, aber die Kritiken waren gut, und immer mehr Männer berichteten mir mit leuchtenden Augen, wie toll der Film geworden sei. Immerhin ist das Setting originell, und da der Trailer auch einige humorvolle Szenen enthielt, fiel die Entscheidung nicht allzu schwer.

F 1

Sonny Hayes (Brad Pitt) galt Anfang der Neunzigerjahre als großes Talent in der Formel 1, bis ein schwerer Unfall seine Karriere beendete. Danach lief es nicht gut für ihn, mehrere seiner Ehen scheiterten, er wurde spielsüchtig, verlor all sein Geld und lebt nun in einem> Wohnwagen, mit dem> er von Rennen zu Rennen tingelt, um sich als Gelegenheitsfahrer mühsam über Wasser zu halten. Eines Tages taucht sein alter Kumpel Ruben (Javier Bardem>) bei ihm auf, der inzwischen einen überaus erfolglosen Rennstall der Formel 1 besitzt und dringend einen neuen Fahrer braucht. Sollte sein Team bis zum Ende der Saison kein einziges Rennen gewinnen, droht ihm sein Vorstand mit dem> Verkauf. Sonny lässt sich darauf ein, gerät aber schnell mit dem> Nachwuchstalent Joshua Pearce (Damson Idris) aneinander. Dank Sonnys unorthodoxe Methoden kann das Team tatsächlich punkten, doch dann wird Pearce Opfer eines verhängnisvollen Unfalls.

Everybody Loves a Loser lautet ein Song von Morcheeba, und das gilt auch für das Kinopublikum. Außenseiter, die gegen alle Chancen und eine gewaltige Konkurrenz ums überleben oder den Sieg kämpfen, sind dankbare Helden einer Geschichte. Mit Sonny gibt es nicht nur einen Außenseiter, der nach Jahrzehnten in die Formel 1 zurückkehrt und sich dort beweisen muss, er ist zudem> auch nicht mehr der Jüngste und gehört zu einem> Team, das ebenfalls Außenseiterstatus besitzt. Mehr Underdog geht nun wirklich nicht.

Brad Pitt spielt diesen abgeklärten, weisen Fahrer mit genug Charisma und Coolness, dass es locker für zwei Filme reichen könnte. Tatsächlich findet man diesen Sonny, der nichts ernst zu nehmen scheint und auf die Regeln pfeift, wenn es seinen Zwecken dient, der sich weder von einer vorlauten Presse noch dem> Publikum beeindrucken lässt, von Anfang an ziem>lich sympathisch. Ist ja auch Brad Pitt. Warum er sich auf Rubens Angebot einlässt, wird jedoch nicht ganz klar, zum einen will er es wohl noch einmal wissen, dann geht es um freundschaftliche Loyalität und zuletzt um ein mystisches Fahrgefühl, das irgendwie mit Freiheit, Loslassen und Spiritualität zu tun hat. Man weiß es nicht genau. Im Grunde ist Sonny ein lonesome Rider, der eine Aufgabe übernimmt, den Menschen hilft, ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen, und der danach in den Sonnenuntergang reitet. Nur fährt er in diesem> Fall.

Der Kern der Geschichte handelt aber von Teambildung. Gleich zu Beginn erkennt Sonny, dass Rubens Team nicht rund läuft, die Techniker sich zu sehr einmischen, die Mechaniker nicht zusammenarbeiten, und keiner Pearce leiden kann, der ein junger Schnösel ist, der mehr an Werbeverträgen und Followern interessiert ist als daran, ein guter Fahrer zu werden, obwohl er ? natürlich ? ein Ausnahmetalent ist. Irgendwie hat man das alles schon mehrfach gesehen, es funktioniert aber dennoch, Ehren Krugers Drehbuch ist smart und witzig, und die Regie von Joseph Kosinski packend und tem>poreich.

Vor allem> die Rennszenen sind beeindruckend und spannend, selbst wenn man sich nicht für die Formel 1 interessiert oder auch nur den Hauch einer Ahnung hat von den komplizierten und bizarren Regeln, von denen man nie weiß, ob die Macher sie sich für diesen Film ausgedacht haben oder nicht. Auf dem> Papier gibt es auch viele exotische Schauplätze, von den USA über England nach Ungarn, Japan oder Abu Dhabi, in der Realität spielt die Handlung meistens auf den Rennstrecken.

Obwohl der Film an sich ziem>lich unterhaltsam ist, ist er mindestens eine halbe Stunde zu lang. Ein paar Rennszenen weniger wären sicherlich besser gewesen. Auch die Beziehungen zwischen den Figuren kommen ein klein wenig zu kurz, das gilt vor allem> für die romantischen Verwicklungen von Sonny und der technischen Direktorin Kate (Kerry Condon). Aber letzten Endes schaut man sich einen solchen Film auch nicht an, um den Helden schmusen zu sehen.

Gut funktioniert hingegen das Konkurrenzgebaren von Sonny und Pearce, die sehr lange brauchen, bis sie zu einem> Team zusammenwachsen und sich respektieren. Hier punktet Kruger mit einigen klugen Momenten und vielen schönen Details. Das Drehbuch hat aber auch einen entschiedenen Mangel: Man vermisst die eine, den Film definierende Szene, die, an die man sich erinnert, wenn man die Handlung schon lange vergessen hat. So wird vermutlich nur eines von F1 in Erinnerung bleiben: Autos, die im Kreis fahren.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.