Elio

Normalerweise hat Pixar ein Händchen für Geschichten und häufig den Erfolg in der Tasche, wurden die meisten ihrer Animationsfilme auch bei uns große Hits. Aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel, und so erreicht ihr jüngster Titel nur gut eine halbe Million Besucher, was immer noch ein tolles Ergebnis ist, nur eben nicht so gut wie die meisten seiner Vorgänger. Lediglich Lightyear und der zu Beginn der Pandem>ie gestartete Onward: Keine halben Sachen verbuchten noch weniger Zuschauer.

Woran liegt das? Hatten die Kinogänger in diesem> Sommer eher Lust auf einen anarchischen Außerirdischen wie Stitch? War der Trailer nicht ansprechend, nicht turbulent oder lustig genug? Ist die Mundpropaganda schlecht?

Um uns selbst ein Bild davon zu machen und vor allem>, um den Film lieber auf der großen Leinwand zu sehen, bevor er sang- und klanglos auf der Watchlist verschwindet, haben wir ihn uns letztes Wochenende angeschaut.

Elio

Der kleine Elio hat kürzlich seine Eltern verloren und lebt nun bei seiner Tante Olga, die im Raumfahrtprogramm der US-Armee dient und verantwortlich für die Beseitigung von Weltraumschrott ist. Ihre Pläne, ins All zu fliegen, hat sie wegen Elio zurückstellen müssen, und er fühlt sich bei ihr nicht wirklich willkommen. Als er eine Ausstellung über die Voyager-Mission sieht, mit der vor Jahrzehnten eine Botschaft der Erde ins Universum geschickt wurde, erwacht in ihm der Wunsch, von Außerirdischen entführt zu werden. Kurz darauf scheint Voyagers Nachricht tatsächlich bei jem>andem> angekommen zu sein, denn Olgas Team em>pfängt eine Botschaft aus den Tiefen des Alls ? und beschließt, diese als elektronische Anomalie abzutun. Doch Elio antwortet heimlich.

Seit Charles Dickens wimmelt es in der Literatur- und Filmgeschichte nur so von verlassenen Waisenkindern, die sich in frem>de Welten träumen oder auf andere Art aus ihrer ungeliebten Existenz ausbrechen. Elio reiht sich also in eine schöne, traurige Tradition ein und erscheint uns daher vom ersten Moment an vertraut. Natürlich weiß man, was er auf seinem> Abenteuer zu lernen hat, nämlich sich geliebt und geborgen zu fühlen bei seiner Tante, die wiederum erkennen muss, was sie an dem> cleveren, aufgeweckten Jungen hat.

So weit, so bekannt. Doch den Autoren Julia Cho, Mark Hammer und Mike Jones gelingt es, den an sich ziem>lich abgedroschenen Plot mit Leben und vor allem> vielen witzigen Einfällen zu füllen. Die Geschichte nimmt immer wieder überraschende Wendungen und verästelt sich in diverse Nebenplots. Zuerst geht es um Elios linkischen Versuch, Freundschaft mit anderen Jungen zu schließen, die er jedoch nur für seine Zwecke, Kontakt zu Außerirdischen aufzunehmen, ausnutzt. Dann wird er tatsächlich ins All und in ein neues, aufregendes Universum gesogen, nur um erneut in Schwierigkeiten zu geraten, als ein machthungriger Diktator die friedliche und freiheitliebende Generalversammlung der Planeten unterwerfen will. Spätestens an dieser Stelle fragt man sich, inwieweit die US-amerikanische Politik hier Pate gestanden hat, denn der Krieg zwischen der bunten, woken Hippie-Gem>einschaft und dem> säbelrasselnden Ungeheuer im Panzer erinnert doch bisweilen stark an den dort tobenden Kulturkampf.

Elio findet schließlich ausgerechnet im Sohn des gehassten Militaristen einen neuen Freund und wird so zum Brückenbauer zwischen den Parteien ? natürlich nicht, ohne vorher noch eine Menge Chaos anzurichten. Das alles wird flott und fantasievoll erzählt, könnte aber bisweilen etwas lustiger sein. Es ist, anders als andere Pixarproduktionen, eher ein Film für das jüngere Publikum, bei dem> die Eltern nicht so viel Spaß haben wie gewohnt. Vielleicht ist das ein Grund für die eher verhaltene Zuschauerresonanz.

Möglicherweise liegt es auch daran, dass Elio zwar gelungen ist, aber nicht besonders aufregend, originell oder mitreißend. Vieles hat man schon zu oft gesehen, und irgendwie will der Funke nicht so recht überspringen. Man amüsiert sich, wird gut unterhalten, weiß aber auch, dass man die Story schnell wieder vergessen hat.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.