Wer hat eigentlich mit diesen Bandwurmtitel begonnen? Der erste, der mir aufgefallen ist, war Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem> Berg herunterkam mit Hugh Grant, als er auf dem> Höhepunkt seiner Popularität war. Ich habe ihn seinerzeit (1995) im Kino gesehen, war aber etwas enttäuscht und fand ihn relativ langweilig.
Als der Trailer zu Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry erschien, dachte ich, das könnte endlich mal wieder ein netter britischer Film sein, wie es sie früher einmal gab, warmherzig, sozialkritisch und mit viel Humor. Im Kino ist er leider irgendwie an mir vorbeigegangen, aber vor einiger Zeit habe ich ihn dann auf Wow nachgeholt. Leider ist er momentan bei keinem> Streamingdienst zu sehen.

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
Eines Tages erhält Harold (Jim Broadbent) den Brief seiner ehem>aligen Kollegin und Freundin Queenie (Linda Bassett), die in einem> schottischen Hospiz im Sterben liegt. Er schreibt ihr ein paar aufmunternde Worte, kann sie aber nicht abschicken, weil er das Gefühl hat, dass es zu wenig ist und sie seiner besonderen Beziehung zu Queenie nicht gerecht werden. Nach einem> Gespräch mit einer jungen Frau an der Tankstelle, die ihm davon erzählt, wie sie ihrer sterbenden Tante Mut gem>acht hat, beschließt Harold, zu Queenie zu laufen, einmal quer durch das Land. Seine Frau Maureen (Penelope Wilton) hält ihn für verrückt, um die Ehe der beiden ist es schon seit Jahrzehnten nicht gut bestellt, aber Harold hält an seiner Mission fest ? und erregt schon bald mediale Aufmerksamkeit.
Der Roman von Rachel Joyce, die auch das Drehbuch verfasste, war ein internationaler Bestseller, wie er jedes Jahr die Buch-Charts stürmt. Ein Mann namens Otto, Der Hundertjährige, der aus dem> Fenster stieg und verschwand oder Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem> Kleiderschrank feststeckte ? sie alle handeln von denkwürdigen Reisen oder zumindest von großen Veränderungen. Meistens geht es um alte Verletzungen oder Verfehlungen, um Sühne und Wiedergutmachung. Die Story über Harold Fry ist all das, und daher in gewisser Weise vorhersehbar und formelhaft.
Immerhin verschwendet die Regisseurin Hattie MacDonald keine Zeit mit einer gründlichen Vorstellung der Figuren, sie wirft Harold gleich in der ersten Szene mit Queenies Brief aus der Bahn und schickt ihn innerhalb weniger Minuten auf seine Reise. Man kann seine Idee gutheißen, sogar bewundern, sie ist inspirierend und zeugt von Mitgefühl, ihre Umsetzung jedoch ist ziem>lich idiotisch. Harold läuft nämlich einfach los, ohne vernünftige Schuhe oder wetterfeste Kleidung (wie lange lebt der Mann denn schon auf der Insel?), Handy oder Landkarte, und viel Geld oder einen Plan hat er auch nicht. Schon bald wirkt der Mann heruntergekommen, seine Füße bluten, und er verwandelt sich langsam, aber sicher in einen Obdachlosen.
Aber natürlich will niem>and die Geschichte eines vernünftigen, pragmatischen Mannes sehen, der gut gerüstet in ein Abenteuer zieht (Frodo und seine Gesellen sind ja solche Weicheier). Harold ist ein Narr, aber ein heiliger Narr, mit einer großen Mission: Er will Queenie retten. Obwohl er selbstverständlich weiß, dass dies unmöglich ist. Aber er hört, als er einige Zeit später im Hospiz anruft, dass seine alte Freundin tatsächlich bereit ist, durchzuhalten und auf ihn zu warten. Die Hoffnung einer Sterbenden.
Die Geschichte erinnert stark an Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr. Auch hier ging es um einen älteren Mann, der einmal quer durch Großbritannien reist, allerdings bequem>er mit dem> Bus (wie gesagt, alles Weicheier), und dabei seine Lebensgeschichte Revue passieren lässt. Auch Harold denkt an die Vergangenheit, in erster Linie aber an sein größtes Trauma, das mit seinem> Sohn zu tun hat und hier nicht erwähnt werden soll. Man ahnt jedoch schnell, worauf das Ganze hinsteuert, und wird nicht enttäuscht. Wie gesagt, die Geschichte ist sehr vorhersehbar, auch wenn man hier und da vielleicht von einem> Detail überrascht wird.
Ein netter Einfall ist es, dass Harold bald mediale Aufmerksamkeit erregt und in den Nachrichten auftaucht. Das bringt andere Menschen auf die Idee, ihn zu unterstützen, und schon bald verwandelt sich seine Pilgerreise in einen Wanderzirkus. Daraus hätte man durchaus noch mehr machen können. Selbst dem> gutmütigen Harold wird das am Ende zu viel, weshalb er schließlich seinen Weg allein fortsetzen muss.
In der Folge gibt Harold immer mehr auf, er wird tatsächlich zu einem> Landstreicher, der aber beharrlich an seinem> Ziel festhält, auch wenn er zunehmend an dessen Sinnhaftigkeit zweifelt. Man könnte annehmen, dies sei eine Geschichte über Verzicht auf überflüssige Dinge, darüber, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, das nicht materieller Natur ist, wie die Freundschaft und Liebe zu anderen Menschen, die wertvolle Zeit, die uns mit ihnen vergönnt ist und zu oft durch Streit oder die Hektik des Alltags genommen wird, aber das stimmt nicht oder zumindest nur zum kleinen Teil. Dies ist die Geschichte eines Mannes, der Vergebung sucht und sich für seine Sünden bestraft und mit Freiheit, Glück und Zufriedenheit belohnt wird. In ihrem> Kern ist es eine religiöse Geschichte.
Alles in allem> ist Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry ein netter, etwas zu langsamer und vorhersehbarer, aber in seinen besten Momenten bewegender Film mit tollen Schauspielern. Man hätte sich gewünscht, mehr über Queenie zu erfahren, aber dafür hat Joyce eine Fortsetzungen geschrieben. Warten wir, ob auch diese verfilmt wird.
Note: 3-