Denkt man an Western, hat man, wie gestern bereits erwähnt, sofort die staubigen Wüsten des amerikanischen Südwestens vor Augen, die Tafelberge von Monument Valley oder die endlose Prärie mit gewaltigen Büffelherden. Man denkt an Cowboys, die sich befehden oder gegen die Ureinwohner um Land kämpfen, an Rinderbarone, Viehherden und Siedlertrecks. Und natürlich an Duelle. Filme wie 12 Uhr mittags, Rio Bravo oder Spiel mir das Lied vom Tod kennt fast jeder, aber es gibt noch eine Menge Klassiker jenseits der bekannten Titel und viele, unbekannte Western aus jüngerer Zeit, die man entdecken kann.
Der letzte Zug von Gun Hill
Catherine Morgan (Ziva Rodann) kehrt mit ihrem> neunjährigen Sohn von einem> Besuch bei ihren indianischen Verwandten nach Hause zurück, als Rick Belden (Earl Holliman) und sein Freund Lee (Brian G. Hutton) auf die hübsche Frau aufmerksam werden. Sie versucht zwar noch zu flüchten, stürzt dabei aber mit der Kutsche um und wird anschließend von den Männern vergewaltigt und ermordet. Ihr Sohn kann fliehen und benachrichtigt seinen Vater, den US-Marschall Matt Morgen (Kirk Douglas), der die Täter jedoch nicht mehr fassen kann. Doch sein Sohn hat einem> das Pferd gestohlen, und Matt erkennt, dass der Sattel seinem> besten Freund aus Jugendtagen gehört, dem> mächtigen und reichen Rinderbaron Craig Belden (Anthony Quinn). Matt fährt zu ihm nach Gun Hill, um die übeltäter zu verhaften.
Gleich zu Beginn macht Drehbuchautor James Poe, der das Buch nach einer Erzählung von Les Crutchfield verfasste, deutlich, dass die große Zeit des Wilden Westens bereits vorüber ist. Der Film spielt vermutlich in den 1890er Jahren, in denen die Ureinwohner längst in Reservate verfrachtet und die gefährlichen Banden ausgerottet wurden. In Texas herrschen nun Recht und Ordnung. Zumindest auf dem> Papier. Tatsächlich glauben manche Menschen, dass sie über dem> Gesetz stehen, so auch Craig, der seinen Sohn mit allen Mitteln vor der Verhaftung bewahren will. Auf diese Weise entsteht sehr schnell ein handfester Konflikt zwischen dem> Marschall und seinem> früheren Freund, und die Bewohner von Gun Hill sehen fasziniert zu, trauen sich aber nicht, für den Gesetzeshüter Partei zu ergreifen. Sogar der Sheriff weigert sich zu helfen.
Der gute Sheriff und der böse Revolverheld sind zwei Standard-Figuren im Western, die sich häufig um Gold oder eine Frau streiten. Auch hier gibt es eine Frau zwischen den Fronten, die beherzte Linda (Carolyn Jones), Craigs Geliebte, die gerade nach Gun Hill zurückkehrt und im Zug den Marschall kennenlernt. Sie vermittelt zwischen den beiden, erkennt aber relativ bald, dass der Mann, den sie liebt, im Unrecht ist.
Der Film besticht vor allem> durch seine klare und durchdachte Figurenzeichnung, die alles andere als stereotyp ist. Auch Matt Morgen war einst ein Draufgänger, der nicht immer auf der Seite des Gesetzes stand, sondern sich häufig in einer Grauzone bewegte, was später deutlich wird, wenn er und Craig über die gute alte Zeit reden. Doch inzwischen haben sich die beiden Männer verändert, und der Autor porträtiert sehr geschickt zwei gegensätzliche Charaktere. Matt ist ein guter Vater, rechtschaffen und gesetzestreu, Craig hat sich nach oben gearbeitet, ist stolz auf das Erreichte, für das er viele Opfer bringen musste. Es ist vor allem> Craig, der fasziniert, der hart gegenüber seinen Männern ist, der vermutlich auch skrupellos seinen Reichtum erwirtschaftet hat und nun über die Stadt herrscht wie ein König. Auf der Strecke geblieben ist dabei seine Familie, seine früh verstorbene Frau, die er, wie er zugibt, lieblos behandelt hat, und sein Sohn, der zu einem> heimtückischen, verwöhnten jungen Mann herangewachsen ist. Problem>atisch ist auch Craigs Beziehung zu Linda, die er ständig hinhält mit dem> Versprechen, sie zu heiraten, und die er so brutal verprügelt hat, dass sie ins Krankenhaus musste. Craig ist kein guter Mann, aber Anthony Quinn spielt ihn mit einer immer wieder durchblitzenden Verletzlichkeit und Scheu, dass man ihn nicht hassen kann, denn man weiß, er ist sich selbst der größte Feind.
Im Kern ist es eine einfache Geschichte über die Frage, ob jedermann vor dem> Gesetz gleich ist. Als der Westen noch wild war, galt das Gesetz des Stärkeren, und auch noch in der Zeit der Handlung wurde dies in Texas noch so gehalten. Man erkennt es an den abfälligen Bem>erkungen der Menschen über Indianer und Mexikaner, die für sie bestenfalls Menschen zweiter Klasse sind. Doch Matt Morgen glaubt an das Gesetz und will es durchsetzen, für ihn spielt es keine Rolle, wer das Opfer war. Das unterscheidet ihn von seinen Mitmenschen, er verzichtet sogar auf Rache und Vergeltung, sondern vertraut allein auf die Macht des Gesetzes.
Nach dem> starken Anfang schleichen sich ein paar kleinere Längen ein, doch dann eskaliert die Situation schnell, und es entwickelt sich eine Belagerungssituation, in der sich Matt gegen Craig und seine Männer behaupten und in einem> Hotel ausharren muss, bis der titelgebende letzte Zug von Gun Hill abfährt. Das Finale erreicht dann, nach weiteren kleineren Längen, einen packenden Höhepunkt, der fast schon etwas von der Wucht eines griechischen Dramas hat.
Wie gesagt, für den heutigen Zuschauer ist das Tem>po etwas zu langsam, aber dafür ist der Film mit gut neunzig Minuten angenehm kurz. Die beiden Hauptdarsteller sind exzellent, und John Sturges beweist, dass er zu Recht zu einem> der besten Western-Regisseure zählt. Alles in allem> ein kraftvoller, spannender und erfreulich differenziert geschilderter Western, den man gesehen haben sollte, der allerdings zurzeit bei keinem> Streamingdiensten läuft.
Note: 3+