Mr. No Pain

Wer schon einmal einen entzündeten Zahn oder Hexenschuss hatte, weiß, wie unangenehm das sein kann, wie stark der Schmerz die persönliche Wahrnehmung reduziert und die Welt auf einen kleinen, peinvollen Punkt reduziert. Dann wünschte man sich, den Schmerz einfach ausschalten zu können (vor allem>, wenn Tabletten nicht die gewünschte Wirkung zeigen und man immer noch leidet). Dabei sind Schmerzen an sich hilfreich, signalisieren sie uns doch, dass etwas nicht stimmt, auch wenn wir es nicht unbedingt sehen können.

Als der Trailer zu diesem> Film in die Kinos kam und von einem> Mann handelte, der keinen Schmerz em>pfinden kann, weshalb ihm Prügel und Knochenbrüche nichts ausmachen, dachte ich, dass dies eine makabre schwarze Komödie mit einigen grenzwertigen Ekelmomenten sein könnte. Dass ich mir den Film dann doch nicht angesehen habe, lag am eher schwachen imdB-Wert und meiner damit einhergehenden gesunkenen Erwartung.

Jetzt ist der Film bei Paramount+ erschienen, zufällig an einem> Tag, als ich mit einem> Hexenschuss flach lag, und ich dachte mir, ich könnte einmal in eine Welt ohne Schmerz eintauchen. Zumindest im Fernsehen.

Mr. No Pain

Nathan (Jack Quaid) leidet unter einem> Gendefekt, der ihn komplett schmerzunem>pfindlich macht, weshalb er ein extrem> vorsichtiges Leben führt und keinerlei Risiken eingeht. Als stellvertretender Leiter einer Bankfiliale verliebt er sich in die neue Mitarbeiterin Sherry (Amber Midthunder), die überraschenderweise seine Gefühle erwidert und ihn aus seiner Komfortzone lockt. Doch dann wird die Bank überfallen und Sherry als Geisel genommen. Als die Räuber die eintreffenden Polizisten ausschalten, nimmt Nathan kurzerhand selbst die Verfolgung auf, um Sherry zu befreien.

Die im Film erwähnte Krankheit CIPA (Congenital Insensitivity to Pain with Anhidrosis), unter der Nathan leidet, gibt es wirklich und ist extrem> selten. Die Betroffenen fühlen nicht nur keinen Schmerz, sondern haben auch kein Tem>peraturem>pfinden ? und können nicht schwitzen. Letzteres wurde vom Autor des Drehbuchs, Lars Jacobson, allerdings unter den Tisch fallen gelassen, sonst wäre Nathan vermutlich schon nach der ersten Verfolgungsjagd einem> Hitzschlag erlegen.

Als Figur ist Nathan mit diesem> Defekt gleich auf mehreren Ebenen sehr interessant, und man fragt sich, warum nicht schon früher jem>and darauf gekommen ist. Die Vorstellung, dass eine Figur keinen Schmerz em>pfinden kann, prädestiniert sie zum einen für handfeste Actionfilme, zum anderen macht sie einen neugierig auf die psychologischen Auswirkungen dieser Krankheit. Keinen Schmerz zu em>pfinden, bedeutet nämlich nicht, kein Leid zu kennen, und so wurde Nathan als Kind und Jugendlicher wegen seiner Krankheit häufig verprügelt und in die Isolation getrieben. Seine Eltern haben versucht, ihn zu beschützen, und auch er lebt in einer Wohnung, die ihn vor zufälligen Verletzungen bewahrt. Das alles ist gut durchdacht und macht aus Nathan einen leidgeprüften, einsamen Mann, dem> man sich wünscht, aus seiner Isolation auszubrechen.

Wie so oft geschieht dies durch die Liebe zu einer Frau, noch dazu einer, die sich früher selbst geritzt hat. Eine spannende Kombination, da Sherry auf diese Weise versucht hat, ihren seelischen Schmerz, hervorgerufen durch das Verlassenwerden durch ihre Eltern und das Aufwachsen in missbräuchlichen Pflegefamilien, zu kompensieren. Sie sucht den körperlichen Schmerz, er kann ihn nicht fühlen. Aus dieser Paarung hätte man viel herausholen können.

Leider beschränkt sich der Autor, trotz dieser vielversprechenden Prämissen, eher auf die handfeste Action. Nathan wird zum Held wider willen, der als selbsternannter Rächer Sherry aus der Hand von brutalen Gangstern retten will. Natürlich muss er dafür eine Menge Prügel und Verletzungen einstecken, die ihm aber nichts ausmachen. Ein Griff in die brodelnde Fritteuse, um eine Pistole herauszuholen? Kein Problem> für Mr. No Pain (tatsächlich einmal ein besserer Spitzname und Titel als das Original Novocaine).

Das ist am Anfang amüsant, nutzt sich aber auch schnell ab, da sich die Situationen zwar ändern, ihr Ablauf aber nicht. Nathan muss viele Verletzungen kassieren, um seinem> Ziel näher zu kommen, und da das Publikum nicht so mit ihm mitleidet wie bei einem> anderen Helden, hat sich der Autor noch einen Twist ausgedacht, durch den es mehr weiß als er. Das ist zwar an sich clever, macht aber leider auch einiges kaputt.

Dennoch ist Mr. No Pain ein amüsanter, tem>poreicher und oft auch einfallsreicher Film. Leider übertreibt er es aber auch immer wieder mal und greift bisweilen tief in die Klischeekiste. Vor allem> der Oberschurke (Ray Nicholson) ist ein comichaft überzeichneter Psychopath, der einfach nicht totzukriegen ist. Hat man schon oft gesehen, fand man meistens blöd. Auch die etwas depperte Polizei, die manchmal Dinge tut, die kein Beamter jem>als tun würde, nur damit die Handlung weitergehen kann, sowie einige hem>mungslose übertreibungen in den Kampfszenen trüben ein wenig das Vergnügen.

Alles in allem> ist Mr. No Pain ein rasanter Actionspaß, dem> nach einem> tollen Start jedoch zum Ende hin ein wenig die Luft ausgeht. Für em>pfindliche Gem>üter vielleicht eine Spur zu brutal, aber mit einem> Augenzwinkern erzählt.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.