Der Mann, von dem> man spricht

Auch auf die Gefahr hin, wie ein nörgeliger alter Mann zu klingen, der immer wieder ?früher war alles besser? vor sich hinmurmelt, gibt es doch einige Dinge, die früher tatsächlich besser waren. Beispielsweise wurden früher noch sehr viele alte Filme im Fernsehen, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Programm, ausgestrahlt. Heute tauchen hin und wieder nur die bekannten Klassiker wie Casablanca oder Frühstück bei Tiffany auf, und darunter sind selten Produktionen, die aus der Zeit vor dem> Zweiten Weltkrieg stammen.

Deshalb ist es löblich, dass Prime Video immer wieder auch alte Titel im Programm hat, die nicht zu den Meisterwerken der Filmgeschichte gehören, sondern bestenfalls schon damals qualitativ eher durchschnittlich waren. Diese Filme muss man als Cineast nicht unbedingt gesehen haben, aber manchmal lohnt auch der Blick auf diese Werke, weil man durch sie lernen kann, wie sich die Filmsprache im Laufe der Zeit entwickelt hat oder welche Them>en zu ihrer Zeit wichtig waren.

Manchmal lernt man auch was dabei. Den heutigen Film beispielsweise hatte ich als Kind schon einmal gesehen, konnte mich aber erst wieder daran erinnern, als ich das Finale sah. Bei Wikipedia wird darauf hingewiesen, dass seine Geschichte große ähnlichkeiten mit dem> österreichischen Stummfilm Max, der Zirkuskönig von 1924 aufweist. Tatsächlich ist die Handlung nahezu identisch.

Max, der Zirkuskönig wiederum war der letzte Film von Max Linder, dessen Name mir überhaupt nichts sagte, obwohl er einer der größten Stars der frühen Filmgeschichte war und der erste Schauspieler, dessen Name auf einem> Filmplakat auftauchte. Der Franzose wirkte in etlichen hundert Filmen mit (die Schätzungen schwanken zwischen zwei- und fünfhundert), und die meisten davon entstanden wohl vor dem> Ersten Weltkrieg. Der Großteil davon ist inzwischen verloren, und damit geriet auch Max Linder in Vergessenheit, obwohl sein Einfluss auf die Filmgeschichte nicht zu unterschätzen ist, zählten ihn die meisten großen Komiker wie Charlie Chaplin oder Buster Keaton zu ihrem> Vorbild.

Auch in diesem> inoffiziellen Rem>ake von 1937 spielten einige große Stars mit, deren Namen den Jüngeren heute wohl nichts mehr sagen werden. Was wirklich schade ist.

Der Mann, von dem> man spricht

Nachdem> er bereits zum dritten Mal durchs Examen gerauscht ist, weil er sich zu leicht vom Lernen ablenken lässt, stellt Onkel Martin (Hans Moser) dem> Zoologiestudenten Toni (Heinz Rühmann) ein Ultimatum: Wenn er sich nicht endlich verlobt und mit auf den familieneigenen Gutshof zurückkehrt, wird er enterbt. Sogar drei passende Kandidatinnen hat der Onkel für ihn parat. Toni lässt das Schicksal entscheiden, indem> er im Park auf deren Fotos schießt ? und eine zufällig vorbeikommende Passantin trifft. Zum Glück nur ihre Handtasche, aber Toni sieht dies als Wink des Schicksals und macht der verdutzten Dame umgehend einen Heiratsantrag. Und sie ist sogar willens, sich mit ihm am Abend im Zirkus zu treffen.

Heinz Rühmann und Hans Moser gehörten zu den größten Stars des deutschen und österreichischen Kinos der Dreißiger- und Vierzigerjahre, und ein weiteres Komödien-Schwergewicht dieser Zeit war ebenfalls mit von der Partie: Theo Lingen spielt Tonis patenten Butler, der mühelos alles beherrscht, was sein Herr nicht erlernen kann. Ob diese geballte Starpower auch zum gewünschten Erfolg geführt hat, ist leider nicht mehr nachvollziehbar.

Die Geschichte erinnert in ihren Grundzügen an eine romantische Komödie, denn es stellt sich heraus, dass Tonis Zukünftige eine Trapezkünstlerin und die Tochter eines Zirkusdirektors ist. Sie hält Toni für einen Kunstschützen, der ihr sein Können beweisen wollte, und weil ihr Vater sie nur einem> Artisten zur Frau geben will, sieht Toni sich gezwungen, im Zirkus aufzutreten.

Heutzutage würde all das im ersten Akt etabliert werden, woraufhin man zu sehen bekommt, wie Toni sich bem>üht, ein Artist zu werden ? und auf spektakuläre und witzige Weise scheitert. Tatsächlich ist dies im Film der dritte Akt, auf den ein bem>erkenswertes Finale folgt, in dem> Toni sich schließlich als unfreiwilliger Löwenbändiger versucht. Dadurch wirkt der Film für heutige Zuschauer wie ein falsch zusammengeschraubter Möbelbausatz von Ikea. Die Teile sind alle da, nur nicht an der richtigen Stelle.

Die erste Hälfte wird vor allem> von Hans Moser dominiert, der wie immer herrlich mosert und grantelt und dabei oft nicht zu verstehen ist. Tatsächlich ist er die interessantes Figur, da er nach außen hin zwar streng und herrisch auftritt, im Kern jedoch ein Softie ist, der seinem> nichtsnutzigen Neffen alles verzeiht, weil er ihn liebt. Sogar die nicht standesgem>äße Ehe ist für ihn kein Problem>, nachdem> er sich davon überzeugt hat, dass die Braut moralisch integer ist.

Rühmanns Toni ist erstaunlich unsympathisch, ein leichtfertiger junger Mann, der alles für selbstverständlich nimmt, der nie hart arbeiten musste und sich von einem> Butler, den er ständig herumkommandiert, bedienen lässt. Nur ein beliebter Schauspieler wie Rühmann kommt mit dieser Rolle durch, ohne beim Publikum durchzufallen. Auch seine plötzlich aufgeflammte Liebe zur ?Königin der Lüfte? Bianca (Gusti Huber) wirkt aufgesetzt und unglaubwürdig.

Vieles am Drehbuch von Hanns Saßmann funktioniert nicht oder nur auf der Behauptungsebene, die Geschichte braucht zu viel Zeit, um eine Richtung einzuschlagen, verliert sich dann in nichtigen Kleinigkeiten und dümpelt lange Zeit ereignislos vor sich hin. Richtig in Fahrt kommt die behäbig von E.W. Emo inszenierte Komödie erst in ihrem> letzten Drittel, das wirklich außerordentlich gut gelungen ist. Heinz Rühmann, der immer alle seine Stunts selbst ausgeführt hat, führt einige halsbrecherische Aktionen vor und tritt am Ende sogar mit echten Löwen auf, die er erstaunlich gut im Griff hat. Da weht dann tatsächlich ein Hauch von Stars in der Manege durchs Zirkuszelt.

Der Mann, von dem> man spricht ist kein Film, den man gesehen haben muss, den man sich aber durchaus anschauen kann, wenn man ein Faible für die genannten Stars hat.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.