Neulich sind auf Amazon Prime einige alte deutsche Filme von Harry Piel aufgetaucht, dessen Name mir zwar vage etwas sagte, ohne dass ich auch nur einen einzigen Film hätte nennen können, in dem> er mitgewirkt hat. Vielleicht habe ich einmal den ?volkstümlich wertvollen? Film Menschen, Tiere, Sensationen gesehen, zumindest kommt mir der Titel bekannt vor, beschwören kann ich es aber nicht.
Harry Piel war schon zur Stummfilmzeit ein Star, der nicht nur der Hauptdarsteller seiner Filme war, sondern sie häufig auch geschrieben, inszeniert und produziert hat. Auch im Tonfilm konnte er seine Karriere fortsetzen, ebenso in der Nazizeit. 1933 wurde er Parteimitglied. Vielleicht aus überzeugung, vielleicht aus Furcht, nachdem> sein Film Der Geheimagent von 1932 verboten worden war, in dem> eine James Bond-Figur versucht, die Formel für ein tödliches Giftgas zu vernichten, bevor der Schurke damit die halbe Menschheit dezimiert. Nach dem> Krieg brachte ihm seine Nähe zur Partei jedoch ein zeitweiliges Berufsverbot ein.
Piel ist gem>einhin als ?Sensationsdarsteller? bekannt, der gerne zupackende und ausgesprochen männliche Helden in klassischen Abenteuerfilmen verkörperte, der aber auch mit spannenden und aufwändigen Verfolgungsjagden, Kämpfen und Spektakeln dem> Publikum gab, wonach es verlangte: Unterhaltung.
Jonny stiehlt Europa
Jonny Burck (Harry Piel) ist ein Pferdetrainer, dessen ganzer Stolz die Stute Europa ist, mit der er den Großen Preis von Nizza gewinnen will, nachdem> er bereits eine ganze Reihe weiterer Siege erringen konnte. Leider ist Jonny bis über beide Ohren verschuldet. Max Dievenak (Walter Steinbeck) hat diese Schuldscheine aufgekauft und will das Pferd pfänden lassen, allerdings verfolgt er dabei einen finsteren Zweck: Als Besitzer einer großen Wettfirma würde ein weiterer Sieg von Europa zur Folge haben, dass riesige Summen vor allem> an Kleinwetter ausgezahlt werden müssten, und um das zu verhindern, muss Europa sterben.
Der Titel ist Programm, und ohne hier viel zu verraten, ahnt der aufmerksame Leser sicherlich, dass Jonny als nächstes das Pferd stiehlt, um es zu retten. Das Drehbuch, das Piel mit Walter Scheff geschrieben hat, belässt es aber nicht bei dieser Wendung, sondern fügt ihr noch viele weitere hinzu. Das Pferd wechselt so häufig den Besitzer, dass einem> manchmal schwindelig wird, und manche Volte der Geschichte bleibt auch unverständlich.
Piels langjährige Ehefrau Dary Holm, die häufig in seinen Filmen zu sehen war, spielt hier eine amerikanische Erbin, die das Pferd von Jonny für das Gestüt ihres Vaters kaufen will und sich natürlich in ihn verliebt. Warum ist nicht ganz klar, da er sich ihr gegenüber ziem>lich herrisch und bevormundend gibt, aber damals war man ja überzeugt davon, dass dies genau ist, was Frauen wollen. So ist auch eine französische Wirtstochter ganz von Jonny angetan, nachdem> er sie gründlich betatscht und geküsst hat. Und der heutige Zuschauer wendet sich mit Grausen.
Besser als die Frauen kommen die Tiere in diesem> Film weg. Piel hat einige Dressuren selbst ausgeführt und auch in anderen Filmen Tiere, zum Teil auch Raubkatzen, eingesetzt. Jonny mag vielleicht Europa stehlen, aber das Pferd und vor allem> der Hund Greif stehlen dem> Helden hier die Show. Gegen die Tricks, die das Tier beherrscht, kann selbst Lassie einpacken.
Bem>erkenswert ist zudem>, dass die Produktion sehr viele Außenaufnahmen beinhaltet, was Anfang der Dreißigerjahre noch nicht selbstverständlich war. Insbesondere wenn es sich dabei um Aufnahmen in Südfrankreich handelt, das eine prominente Rolle im letzten Drittel spielt. Für folkloristischen Charme sorgen Szenen von einem> Festival, die an einen Dokumentarfilm erinnern, und für Actionfans gibt es eine spannende Szene, in der ein führerloser Wagen eine kurvenreiche Küstenstraßen hinunterrollt. Das macht den Film tatsächlich zu einem> Erlebnis und setzt ihn von anderen Produktionen seiner Zeit ab. Ebenfalls ungewöhnlich sind einige Dialoge auf Französisch, die nicht einmal untertitelt wurden.
Vom filmhistorischen Aspekt ist Jonny stiehlt Europa durchaus sehenswert und interessant. Der Held wirkt für heutige Zuschauer allerdings zu selbstverliebt und sogar ein bisschen unsympathisch, nimmt er doch alles auf die leichte Schulter, beutet gedankenlos seinen Untergebenen und Jockey aus, kann aber dafür als Tierfreund punkten. Die Story könnte etwas weniger verworren und dafür raffinierter sein, bietet aber genug unterhaltsame Szenen, um auch im 21. Jahrhundert noch bestehen zu können. Alles in allem> kein Meisterwerk, aber ein faszinierender Ausflug in die filmische Vergangenheit.
Note: 3