The Morning Show

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann bei uns das Frühstücksfernsehen eingeführt wurde, ich glaube, es war irgendwann in den Neunzigern, und schon damals wurde es verächtlich als „Bügelfernsehen“ abgetan, weil es für Hausfrauen konzipiert war, die es neben ihren täglichen Verrichtungen gewissermaßen als Hintergrundrauschen einschalten. Diese Art von Fernsehen steht also im Ruf, besonders seicht zu sein. In Amerika ist das nicht viel anders, aber da inzwischen – mehr dort als hier – auch der Rest des Programms immer mehr in Richtung Show tendiert und selbst Nachrichten unterhaltsam sein müssen, ist der qualitative Unterschied vermutlich nicht mehr so groß.

Aber diese Shows, die Meldungen und manchmal auch Nachrichten im Boulevardstil vermitteln, sind in den USA beliebt. Und natürlich ist es hinter den Kulissen nicht so nett und kameradschaftlich, wie es vor den Kameras immer den Anschein hat. Diese Diskrepanz erzeugt Spannung und Neugier – und verkauft Bücher. Und was macht man mit einem solchen Buch, wenn man ein aufstrebender Streamingdienst ist mit genügend Geld, die besten und beliebtesten Leute dafür zu engagieren? Genau, und ich habe mich die Serie auf Apple TV+ kürzlich angesehen.

Alles beginnt mit einem riesigen Skandal: Mitch Kessler (Steve Carell), der populäre Moderator von The Morning Show, wird wegen sexueller Übergriffe auf Untergebene von seinem Sender gefeuert. Das Team steht unter Schock, vor allem seine Co-Moderatorin seit fünfzehn Jahren, Alex Levy (Jennifer Aniston).

Gleichzeitig in West Virginia: Die Lokalreporterin Bradley Jackson (Reese Witherspoon) berichtet von einem Protest vor einer Kohlemine und gerät dort mit einem Demonstranten aneinander. Von Natur aus impulsiv und zurzeit gestresst, verliert sie die Kontrolle und hält ihm vor, wie ignorant er ist, weil er nicht mit Fakten, sondern mit Gefühlen argumentiert. Ihr leidenschaftlicher Ausbruch wird gefilmt und geht viral.

Bradley wird von ihrem Boss für ihr Verhalten gerügt und kündigt, gleichzeitig erhält sie die Einladung, in The Morning Show darüber zu berichten. Sie lässt sich darauf ein – und liefert sich mit Alex einen kleinen Schlagabtausch über journalistische Ethik und Verantwortung, der das Interesse von Cory Ellison (Billy Crudup), dem Leiter der Nachrichtensparte, weckt. Er ist von Bradley fasziniert und nimmt sie sogar mit zu einer Preisverleihung, um sie an den Tisch von Alex zu setzen.

Als Alex wiederum erfährt, dass der Senderchef Fred (Tom Irwin) sie langfristig ersetzen und man sie nicht an der Suche nach einem Ersatz für ihren Co-Moderator beteiligen will, verkündet sie kurzerhand öffentlich, dass Bradley für diesen Job ausgewählt wurde …

Dies fasst in groben Zügen die erste Episode zusammen. An dieser Stelle erwartete ich, dass sich die Serie in satirischer Manier mit den Intrigen und Kabalen hinter den Kulissen auseinandersetzen würde, dass es um die beiden Moderatorinnen geht, deren Stile kaum unterschiedlicher sein könnten und die irgendwie zu einem Team zusammenwachsen oder sich einen Zickenkrieg liefern werden. Doch weit gefehlt.

Als die Drehbücher der Serie bereits entwickelt waren, kamen die Enthüllungen über Harvey Weinstein ans Licht und erlangte #MeToo die Bedeutung, die die Bewegung jetzt hat. Andere bekannte Männer wurden angeprangert, ihre Verfehlungen öffentlich gemacht, darunter auch bekannte Moderatoren und Senderchefs. Weshalb sich die Show Runner entschieden, dem Narrativ der Serie eine andere Richtung zu geben und sich mehr mit dem Skandal um Mitch Kessler zu beschäftigen. Wer wusste in der Show und im Sender von seinem Verhalten? Wer deckte ihn sogar? Das sind die Fragen, um die es zunehmend geht.

Steve Carell liefert dabei eine beeindruckende Vorstellung ab. Man mag ihn, er ist nett, witzig und kein bisschen angsteinflößend. Anfangs weiß man auch nicht, was er genau getan hat, und Mitch leugnet alles, gesteht zwar Affären mit Mitarbeiterinnen ein, die aber einvernehmlich waren. Zum Teil stimmt das, aber nach und nach findet man heraus, dass dies nach Beendigung der Beziehung häufig zu einer beruflichen Degradierung der Frau geführt hat, die Mitch aus seinem Umfeld entfernen ließ. Auch distanziert er sich von anderen Tätern, die weit schlimmere Dinge getan haben, was schließlich zu einem Teilgeständnis führt – und der Behauptung, dass andere ihn gedeckt haben und genauso schuldig sind. Auf diese Weise erkennt auch Mitch teilweise, welche Schuld er auf sich geladen hat, bis in einer Rückblenden-Folge noch weitere, verstörende Details offenbart werden.

Ich will nicht zu viel über die weitere Entwicklung verraten, denn man sollte sich die Serie anschauen – es ist eine der besten der letzten Jahre, großartig besetzt und brillant geschrieben. Und vor allem die letzte Folge, in der noch einige Geheimnisse ans Tageslicht kommen und auch die Karrieren von Bradley und Alex auf dem Spiel stehen, ist ungemein spannend und zutiefst bewegend. Genau so sollte gutes Fernsehen sein.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.