Sie leben

Ich kann mich noch an das Plakat zum Film erinnern, als er 1989 in unsere Kinos kam: Man sieht in Großaufnahme das Gesicht eines Mannes, der seine Sonnenbrille abnimmt, in deren Spiegelung eine totenkopfähnliche Fratze erkennbar ist. Fand ich damals zu gruselig, um ihn mir ansehen, aber inzwischen bin ich ja hartgesotten und vertrage selbst Zombiefilme …

Sie leben

Nada (Roddy Piper) ist ein Ölarbeiter, der seinen Job und seine Wohnung verloren hat und nun durch das Land streift. Als er in L.A. landet, findet er eine Arbeit auf einer Baustelle und lernt dort Frank (Keith David) kennen, der ihn zu einer Barackensiedlung mitnimmt, in der er lebt. Die dortigen Bewohner werden von Leuten aus einer nahen Kirche unterstützt, doch Nada findet heraus, dass dies nur eine Tarnung ist. Als die Polizei die Kirche stürmt und die Menschen verhaftet, entdeckt er in einem Karton Sonnenbrillen. Kaum hat er eine aufgesetzt, offenbart sich ihm die verborgene Wahrheit: Die Welt wird seit langem von Außerirdischen beherrscht …

John Carpenter hat einige Kultfilme geschaffen, und auch Sie leben zählt zu diesen Werken. Die dem Stoff zugrundeliegende Gesellschaftskritik ist sehr gut und besitzt auf erschreckende Weise immer noch Gültigkeit, denn Carpenter prangert den Gleichmut und die Oberflächlichkeit der auf Konsum fixierten Menschen an, die sich nur von den Medien berieseln lassen, aber jedes kritische Denken verlernt haben. Gepaart wird diese Kritik am amerikanischen System mit der Idee, dass Aliens dahinterstecken, die die Menschheit längst versklavt haben. Möglich wird dies durch elektromagnetische Signale, die zusammen mit dem Fernsehprogramm ausgesendet werden. Fernsehen macht gewissermaßen stumpf und blöd und anfällig für Manipulation. Man fragt sich, was Carpenter heute wohl zu Internet und Streamingdiensten sagt.

Nur mit Hilfe einer speziellen Brille – später sind es Kontaktlinsen – ist man in der Lage, den Betrug zu durchschauen. Man kann sehen. Auf diese Weise spricht der Film vermutlich Kapitalismuskritiker genauso an wie Verschwörungstheoretiker, die ebenfalls eine geheime Wahrheit für sich in Anspruch nehmen …

Man kann nicht sagen, dass der Film gut gealtert ist. Obwohl Ende der Achtziger entstanden, wirkt er wie ein Relikt aus den Siebzigern, der Hauptdarsteller, ein bekannter Wrestler, ist nicht gerade ein begnadeter Darsteller, und natürlich sieht man dem Film auch sein mageres Budget an. Dafür hat Carpenter noch eine Menge herausgeholt, aber sein größter Fehler war es wohl, am Drehbuch zu sparen. Eine oder zwei weitere Fassungen wären sicherlich nötig gewesen, um der Geschichte den nötigen Schliff zu verpassen. So wird der Anfang unnötig in die Länge gezogen, und selbst die inzwischen legendäre Prügelei zwischen Nada und Frank, in der der eine versucht, dem anderen eine Sonnenbrille aufzusetzen, wirkt eher peinlich-lächerlich. Darüber hinaus gibt es eine Menge anderer Ungereimtheiten und schlecht inszenierte Szenen. Ein typisches B-Movie also.

Die Aktualität des Themas ist das Einzige, was auch heute noch für den Stoff spricht und geradezu nach einer Neuverfilmung schreit. Am besten als Fernseh-Serie …

Note: 4+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.