Dreckige Wasser und rote Berge

Montrose entpuppte sich als überaus sympathische Kleinstadt mit einer hübschen Main Street, überraschend günstigen Tankstellen und zahlreichen Läden, die jeden nur möglichen Bedarf decken sollten. Es kann kein so schlechter Ort sein, wenn es hier sogar eine Candle Factory gibt. Aber wir waren nicht gekommen, um zu bleiben (oder Kerzen zu kaufen), sondern brachen gleich nach dem Frühstück in die Berge auf.

Wir hatten uns für den Tag nicht zu viel vorgenommen und wollten auch nur 74 Meilen weit fahren. Das lag zum einen an den anstrengenden letzten Tagen und dem damit einhergehenden Wunsch, ein wenig langsamer zu treten, zum anderen hatten wir geplant, ein oder zwei Stunden in einem Thermalbad zu verbringen. Es gibt in der Gegend hier eine Menge heißer Quellen, in denen schon die Ureinwohner vor Hunderten von Jahren plantschten, und viele wurden in Badeanstalten umgewandelt. Doch die Kombination aus Sonnenbrand und heißem Wasser ist nicht empfehlenswert, und da für den Nachmittag wieder Gewitter angekündigt worden waren, wollten wir bis dahin noch den spektakulärsten Teil unseres Weges zurückgelegt haben. Also mussten wir auf das Plantschen in den heißen, mineralhaltigen Quellen verzichten.

Dafür ging es hoch hinaus: Wir erklommen die San Juan Mountains auf dem Highway 550, der hinter Montrose seinen Namen ändert und besser als San Juan Skyway oder Million Dollar Highway bekannt ist. Dieser kurvenreiche Abschnitt, der in rund dreitausend Metern Höhe über die Berge führt, gehört angeblich zu den zehn schönsten Straßen in den USA, und wir wollten uns überzeugen, ob das auch wirklich stimmt.

Es gibt widersprüchliche Angaben zur Entstehung des Namens Million Dollar Highway, entweder heißt die Straße wegen ihrer unbezahlbaren Schönheit so, wegen der reichen Gold- und Silberfunde in den umliegenden Bergen oder weil der Bau so unglaublich teuer war. Auf einer Informationstafel habe ich die Angabe gefunden, dass der Bau einer Straßenmeile in den 1880er Jahren rund zehntausend Dollar gekostet hat. Heute wären das ungefähr 290.000 Dollar, und da die Strecke 25 Meilen lang ist, wäre der Name sogar siebenfach gerechtfertigt. Damals hat man vielleicht einfach großzügig gerundet, oder die Kosten waren so hoch, dass man sie gar nicht so genau benennen wollte. Ich tendiere jedenfalls zur ersten Erklärung.

Zunächst ging es in die hübsche Bergstadt Ouray (benannt nach einem lokalen Häuptling der Utes), die sich auf den Grund eines Tals schmiegt, umgeben von himmelstürmenden Bergen mit schroffen Hängen. Der Ort nennt sich selbstbewusst „die Schweiz der USA“, tauft Hotels gerne Matterhorn und stellt sogar seine eigene Schokolade her. Nur gejodelt wird hier nicht, zumindest nicht am Vormittag oder ohne den Einfluss von Alkohol. Tatsächlich erinnert die Gegend etwas an die Alpen, aber das gilt für andere Regionen auch.

Ouray ist jedenfalls ein gemütliches Städtchen, das während der verschiedenen Gold- und Silberbooms im späten 19. Jahrhundert zu einigem Wohlstand gekommen ist. Einige schöne alte Gebäude, etwa das Gericht oder eine Bücherei mit vergoldeter Kuppel, zeugen noch heute davon und ziehen die Touristen an. Obwohl es viele Hotels, Restaurants und Souvenirshops gibt, ist dieser Wirtschaftszweig nicht so dominant in Szene gesetzt, sondern fügt sich harmonisch in das Stadtbild ein. Wir haben in einem Café einen ausgezeichneten Grüntee getrunken und ein wenig in den lokalen Geschäften gestöbert.

Gleich hinter Ouray sind wir dann auf etwas Besonderes gestoßen: Der Bear Creek Falls ist ein Wasserfall, der 26 Meter tief in den Uncompahgre Canyon stürzt – und zwar direkt unterhalb der Straße, die hier als Brücke über das sprudelnde Wasser führt. Ein faszinierender Anblick. Uncompahgre, ein Name, der, wenn er auf einer Tafel auftaucht, aussieht, als wäre er von einem Legastheniker aufgeschrieben worden, stammt aus der Sprache der Ute und heißt ungefähr so viel wie „dreckiges Wasser“ oder „rote Quelle“ (was zwei sehr unterschiedliche Dinge sind, aber wir wollen hier mal nicht kleinlich sein) und bezieht sich vermutlich auf die heißen Quellen. Andererseits war das Wasser des gleichnamigen Flusses tatsächlich ziemlich dreckig.

Von nun an ging es immer weiter hinauf. Bedrohlich ragten die steilen, mit Tannen bewachsenen Berghänge links und rechts der Straße auf, beeindruckend schroff und unwegsam, außer vielleicht für Bighornschafe. Die Landschaft war wunderschön und wurde noch beeindruckender, als plötzlich drei Bergspitzen zu unserer Linken auftauchten, die aussahen, als hätte man jeweils einen Eimer roter Farbe über sie ausgeschüttet. Es wirkte, als würden sie von der untergehenden Sonne geküsst, und der Name Red Mountains ist ebenso naheliegend wie zutreffend. Dabei fällt mir auf, dass die Amerikaner bei der Namensgebung einen gewissen Pragmatismus an den Tag legen, ein roter Berg ist eben ein Red Mountain, und wenn ich jedes Mal, wenn wir an einem Red Rock vorbeigekommen sind, einen Dollar bekommen hätte, könnte ich mir jetzt vielleicht eine Pizza kaufen. Indianische Namen klingen jedenfalls poetischer. Okay, dreckiges Wasser vielleicht nicht gerade, aber sonst schon.

Leider hatte sich der Himmel im Laufe des Nachmittags bereits so weit zugezogen, dass es schwierig war, gute Bilder von diesen drei Prachtexemplaren zu schießen. Und weiß Gott, wir haben es oft genug versucht, doch die Ergebnisse sind nichts im Vergleich zu der farbenfrohen Schönheit der realen Gipfel. Nach etlichen Fotostopps ging es weiter hinauf, bis wir auf dem 3355 Meter hohen Red Mountain Pass ankamen.

Der nächste Halt war die Stadt Silverton, die ebenfalls zur Boomzeit der Minen entstanden war. Die Überreste einiger alter Minen kann man übrigens heute noch am Straßenrand erkennen, und Silverton zollt diesem Erbe Rechnung. Auch hier gibt es eine touristisch gut erschlossene, aber nicht zu künstlich wirkende Hauptstraße mit netten Läden und Hotels, darüber hinaus aber mit der Blair Street noch eine waschechte Westernstraße, die schon für einige Filmproduktionen benutzt wurde. Hier stehen noch ein paar historische Gebäude, in denen heute Restaurants oder Souvenirläden untergebracht sind. Am Bahnhof kann man sogar eine Fahrt mit einer dampfbetriebenen Schmalspurbahn buchen. Das hätte uns in der Tat gereizt, doch dauert die Reise von Silverton nach Durango und wieder zurück über neun Stunden.

Nach Silverton ging es weiter und damit wieder hinauf in die Berge. Etliche Serpentinen weiter erreichten wir schließlich den Molas Divide Pass, der auf 3325 Metern Höhe liegt und wunderschöne Ausblicke auf das zurückliegende Tal besitzt. Hier befindet sich die kontinentale Wasserscheide, die wir damit zum zweiten Mal überquerten. Danach ging es auf der kurvenreichen Straße wieder nach unten, bis wir schließlich unser heutiges Etappenziel Durango erreichten.

Obwohl wir nur 74 Meilen weit gefahren waren, hatte die Reise inklusive zahlreicher Fotostopps und zweier Stadtbesichtigungen sechseinhalb Stunden gedauert. Der Himmel zog sich dabei immer weiter zu, bis es in Durango dann sogar leicht geregnet hat. Wir haben den Ausflug in die historische Altstadt daher auf den nächsten Tag verschoben und sind mexikanisch essen gegangen.